„Geheiligt werde dein Name“, heißt es, „zu uns komme dein Reich“! „Welchen Wert haben wohl diese Worte in meiner Not“? – könnte vielleicht jemand sagen, der entweder für die begangenen Sünden in bitterer Reue Buße tut oder zur Errettung aus der Versuchung, die ihn mächtig bedrängt, Gott zu Hilfe rufen möchte.
Vor seinem Blicke steht drohend immerdar derjenige, der ihm durch Anreizung zur Sünde unaufhörlich zusetzt: hier suchen Zornesausbrüche den Verstand außer Fassung zu bringen; dort wollen törichte Begierden die Spannkraft der Seele entnerven; wieder von einer anderen Seite zieht die Habsucht den Schleier der Blindheit über das sonst klare Auge des Geistes; oder auch Hochmut, Stolz, Hass und die ganze übrige Reihe der wider uns kämpfenden Feinde umlagern wie ein wütender Haufe, der uns umkreist, unsere Seele und stürzen sie in äußerste Gefahr. Wer nun nach einem mächtigeren Helfer gegen solche Feinde sich sehnt, um ihnen zu entrinnen: welche Worte könnte dieser mit größerem Rechte gebrauchen, als die des großen David, der da also flehte: „möge ich gerettet werden aus der Hand derer, die mich hassen“! (Ps 68,15) oder „Rückwärts mögen sich wenden meine Feinde“! (Ps 55,10) und „Verleihe uns, o Gott, deine Hilfe in unserer Bedrängnis“! (Ps 59,13) oder wie immer die Anrufungen lauten, durch die wir uns den Beistand Gottes gegen unsere Widersacher herabrufen könnten.
Was sagt nun dagegen das Gebet, das der Herr uns aufgetragen? „Geheiligt werde dein Name“! Wie? Wäre es denkbar, dass, wenn wir nicht darum bitten, der Name Gottes nicht heilig wäre? Und brauchen wir zu beten: „Zu uns komme dein Reich“? Was wäre denn dem Reiche, oder der Macht Gottes nicht unterworfen? – Gottes, der mit seiner Spanne den ganzen Himmel umfasst, wie Isaias sagt (40,12) – Gottes, der dem Festland mit Allgewalt gebietet und das Meer völlig beherrscht, - Gottes, der die ganze Schöpfung, sowohl die irdische wie die überirdische, auf seinen Händen trägt? Wenn also der Name Gottes immer schon heilig ist, und nichts der Herrschaft Gottes sich entziehen kann, vielmehr Gott ohnehin alles und jedes beherrscht und an Heiligkeit, weil durchaus fehlerlos und ganz vollkommen, nicht mehr zunehmen kann, was bedarf es noch der Bitte: „Geheiligt werde dein Name, zu uns komme dein Reich“?
Oder gibt uns vielleicht das göttliche Wort in der Form dieser Bitte die Lehre, dass die menschliche Natur aus sich ohnmächtig ist, Gutes zu erreichen, und dass all unser Streben nicht ans Ziel kommt, wenn Gottes Hilfe nicht mit uns ist? Das höchste und notwendigste Gut besteht nun darin, dass der Name Gottes durch mein Leben verherrlicht werde.
Was aber hiermit gemeint ist, dürfte uns klar werden, wenn wir das Gegenteil in Betracht ziehen. Irgendwo in der Heiligen Schrift habe ich gelesen, dass sie jene verdammt, welche sich einer Lästerung Gottes schuldig machen. So sagt sie: „Wehe denen, durch die mein Name unter den Völkern gelästert wird“!(Is. 52,5; Röm. 2,21). Dies Wort ist also zu verstehen: alle, welche noch nicht an die Verkündigung der Wahrheit glauben, schauen begierig auf das Leben derer, welche sich zu dem Glauben an die hochheilige Lehre bekennen. Wenn nun manche zwar den Namen eines Gläubigen angenommen haben, ihr Leben aber diesem Namen widerspricht, weil sie entweder durch Habsucht Götzendienst treiben oder in Trunksucht und Ausgelassenheit den Anstand verletzen oder sich im Schlamme der Liederlichkeit wie Schweine wälzen: so kann man von Seiten der Ungläubigen gar leicht Reden hören, die ihre Anklage nicht gegen die Gesinnung derer richten, die ein schlechtes Leben führen, sondern sich dahin äußern, die heilige Lehre gestatte ein solches. Hierbei lassen sie sich von der Ansicht leiten; der oder jener Gläubige würde nicht so schmähsüchtig, habgierig, räuberisch oder sonst so schlecht sein, wenn es nicht von seiner Religion irgendwie erlaubt wäre. Deshalb richtet die Heilige Schrift gegen solche Gläubige eine schwere Drohung, indem sie ihnen zuruft: „Wehe denen, durch welche mein Name unter den Völkern gelästert wird“.
Dieser Schriftstelle entgegengesetzt ist unser Gebetswort; es dürfte an der Zeit sein, es reiflich zu erwägen. So muss ich denn, glaube ich, vor allem darum beten und das zur Hauptangelegenheit meines Gebetes machen, dass der Name Gottes durch mein Leben nicht gelästert, sondern verherrlicht und geheiligt werde. Durch dich demnach, will der Herr sagen, soll mein herrlicher Name, den du anrufst, geheiligt werden, „auf dass die Menschen die guten Werke sehen und den Vater preisen, der im Himmel ist“ (Matth. 5,46).
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