Mittwoch, 28. Dezember 2011

Re-post: Edith Stein (+ 1942) Das Weihnachtsgeheimnis (Auszug aus dem „Weihnachtsgeheimnis“ – Ganzheitliches Leben)

Et Verbum caro factum est (und das Fleisch ist Wort geworden). Das ist die Wahrheit geworden im Stall zu Bethlehem. Aber es hat sich noch erfüllt in einer andern Form. „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben.“ Der Heiland, der weiß, dass wir Menschen sind und Menschen bleiben, die täglich mit menschlichen Schwächen zu kämpfen haben, er kommt unserer Menschlichkeit auf wahrhaft göttliche Weise zu Hilfe. Wie der irdische Leib des täglichen Brotes bedarf, so verlangt auch der göttliche Leib in uns nach dauernder Ernährung. „Dieses ist da lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“ Wer es wahrhaft zu seinem täglichen Brot macht, in dem vollzieht sich täglich das Weihnachtsgeheimnis, die Menschwerdung des Wortes. Und das ist wohl der sicherste Weg, das unum esse cum Deo (eins sein mit Gott) dauernd zu erhalten, mit jedem Tage fester und tiefer in den mystischen Leib Christi hineinzuwachsen. Ich weiß wohl, dass das vielen als ein allzu radikales Verlangen erscheinen wird. Praktisch bedeutet es für die meisten, wenn sie es neu beginnen, eine Umstellung des gesamten äußeren und inneren Lebens. Aber das soll es ja gerade! In unserem Leben Raum schaffen für den eucharistischen Heiland, damit er unser Leben in sein Leben umformen kann: ist das zu viel verlangt? Man hat für so viele nutzlose Dinge Zeit: allerhand unnutzes Zeug aus Büchern, Zeitschriften und Zeitungen zusammenzulesen, in Cafés herumzusitzen und auf der Straße Viertel- und halbe Stunden zu verschwatzen: alles „Zerstreuungen“, in denen man Zeit und Kraft splitterweise verschleudert. Sollte es wirklich nicht möglich sein, eine Morgenstunde herauszusparen, in der man sich nicht zerstreut, sondern sammelt, in der man sich nicht verbraucht, sondern Kraft gewinnt, um den ganzen Tag davon zu bestreiten?

Aber freilich, es ist mehr dazu erforderlich als eine Stunde. Man muss von einer solchen Stunde zu andern so leben, dass man wiederkommen darf. Es ist nicht möglich, „sich gehen zu lassen“, sich auch nur zeitweise gehen zu lassen. Mit wem man täglich umgeht, dessen Urteil kann man sich nicht entziehen. Selbst wenn kein Wort gesagt wird, fühlt man, wie die andern zu einem stehen. Man wird versuchen, sich der Umgebung anzupassen, und wenn es nicht möglich ist, wird das Zusammenleben zur Qual. So geht es einem auch im täglichen Verkehr mit dem Heiland. Man wird immer feinfühliger für das, was ihm gefällt und missfällt. Wenn man vorher im Großen und Ganzen recht zufrieden mit sich war, so wird das jetzt anders werden. Man wird vieles zu ändern finden und wird ändern, was man ändern kann. Und manches wird man entdecken, was man nicht mehr schön und gut finden kann und was man doch nicht zu ändern vermag. Da wird man allmählich sehr klein und demütig; man wird geduldig und nachsichtig gegen die Splitter in fremden Augen, weil einem der Balken im eigenen zu schaffen macht; und lernt es schließlich auch, sich selbst in dem unerbittlichen Licht der göttlichen Gegenwart zu ertragen und sich der göttlichen Barmherzigkeit zu überlassen, die mit all dem fertig werden kann, was unsere Kraft spottet. Es ist ein weiter Weg von der Selbstzufriedenheit eines „guten Katholiken“, der „seine Pflichten erfüllt“, eine „gute Zeitung“ liest, „richtig wählt“ usw., im übrigen aber tut, was ihm beliebt, bis zu einem Leben an Gottes Hand und aus Gottes Hand, in der Einfalt des Kindes und der Demut des Zöllners. Aber wer ihn einmal gegangen ist, wird ihn nicht wieder zurückgehen.

So besagt Gotteskindschaft: Kleinwerden. Es besagt aber zugleich Großwerden. Eucharistisch leben heißt ganz von selbst aus der Enge des eigenen Lebens herausgehen und in die Weite des Christuslebens hineinwachsen. Wer den Herrn in seinem Haus aufsucht, wird ihn ja nicht immer nur mit sich selbst und seinen Angelegenheiten beschäftigen wollen. Er wird anfangen, sich für die Angelegenheiten des Herrn zu interessieren. Die Teilnahme am täglichen Opfer zieht uns unwillkürlich in das liturgische Leben hinein. Die Gebete und die Gebräuche des Altardienstes führen uns im Kreislauf des Kirchenjahres die Heilsgeschichte immer wieder vor die Seele und lassen uns immer tiefer in ihren Sinn eindringen. Und die Opferhandlung selbst prägt uns immer wieder das Zentralgeheimnis unseres Glaubens ein, den Angelpunkt der Weltgeschichte, das Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung. Wer könnte mit empfänglichem Geist und Herzen dem heiligen Opfer beiwohnen, ohne selbst von der Opfergesinnung erfasst zu werden, ohne von dem Verlangen ergriffen zu werden, dass er selbst und sein kleines persönliches Leben eingestellt werde in das große Werk des Erlösers?

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